Stellungnahme
zum Entwurf eines Gesetzes und einer Verordnung zur Umsetzung der
Richtlinie 2003/105/EG des Europäischen Parlaments und des
Rates vom 16.12.2003 zur Änderung der Richtlinie 96/82/EG ("Seveso-II-Richtlinie")
des Rates zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen
mit gefährlichen Stoffen
(Stand des Entwurfs:
12.11.2004)
Als Vertreter des BBU gab Herr Oliver Kalusch folgende Stellungnahme
ab:
Die Änderung des BImSchG und der 12.
BImSchV (Störfall-Verordnung) sind hinsichtlich der nachstehenden
aufgeführten Aspekte in sachlicher Hinsicht unzureichend.
Soweit im Rahmen dieser Stellungnahme Vorschläge
über die gemäß der Richtlinie 2003/105/EG zur Änderung
der Richtlinie 96/82/EG ("Seveso-II-Richtlinie") zur Beherrschung
der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen
zwingend umzusetzenden Bestimmungen hinausgehen, ist deren rechtliche
Verankerung insbesondere auf der Grundlage von Art. 176 EGV möglich.
I. Ausnahmeregelungen
Gemäß der Ausnahmeregelung des
§ 3 Abs. 5a HS. 2 BImSchG fallen unter den Begriff des Betriebsbereiches
keine Bereiche, für die die Ausnahmeregelung des Art. 4 RL
96/82/EG hinsichtlich der dort aufgeführten Einrichtungen,
Gefahren und Tätigkeiten gilt.
Durch die Neufassung von Art. 4 lit. f RL
96/82/EG wird die Offshore-Erkundung und Gewinnung von Mineralien,
einschließlich Kohlenwasserstoffen, privilegiert und vom Anwendungsbereich
ausgenommen. Da die fraglichen Offshore-Tätigkeiten insbesondere
in ökologisch sensiblen Gebieten erfolgen können oder
erhebliche Auswirkungen auf solche Gebiete haben können, ist
eine derartige Sonderbehandlung nicht gerechtfertigt. Sie sollte
daher nicht ins deutsche Recht übernommen werden.
II. Überwachung der Ansiedlung
Gemäß dem Entwurf der Neufassung
des § 50 S. 1 BImSchG auf Grund der Änderung von Art. 12 Abs.
1 Uabs. 2 RL 96/82/EG sind bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen
die für eine bestimmte Nutzung vorgesehenen Flächen so
zuzuordnen, dass schädliche Umwelteinwirkungen und von schweren
Unfällen i. S. d. Art. 3 Nr. 5 RL 96/82 EG in Betriebsbereichen
hervorgerufene Auswirkungen auf die ausschließlich oder überwiegend
dem Wohnen dienenden Gebiete sowie auf sonstige schutzbedürftige
Gebiete, insbesondere öffentlich genutzte Gebiete, wichtige
Verkehrswege, Freizeitgebiete und unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes
besonders wertvolle oder besonders empfindliche Gebiete und öffentlich
genutzte Gebäude, so weit wie möglich vermieden werden.
Zu den Planungen i. S. d. § 50 S. 1 BImSchG
gehören Raumordnungsprogramme, Landesentwicklungspläne,
Raumordnungspläne, Gebietsentwicklungspläne, kommunale
Bauleitpläne, Landschaftspläne etc..
Die Formulierung "so weit wie möglich"
in § 50 S. 1 BImSchG stellt zwar einen Planungsleitsatz in Form
eines Optimierungsgebotes dar, der den Schutz vor schädlichen
Umweltauswirkungen und von schweren Unfällen i. S. d. Art.
3 Nr. 5 RL 96/82 EG zu einem hervorgehobenen Belang mit erhöhtem
Gewicht im Rahmen der Abwägung bei Planungen werden lässt.
Eine Zurückstellung dieses immissionsschutzrechtlichen Belangs
ist nur möglich, wenn die Planung durch entgegenstehende Belange
mit hohem Gewicht zwingend geboten ist.
Jedoch verlangt § 50 S. 1 BImSchG nicht,
dass derartige schädliche Umwelteinwirkungen und Unfallauswirkungen
auf jeden Fall vermieden werden.
In der Praxis wird häufig der herausgehobene
Charakter dieses Belangs verkannt, so dass er lediglich gleichberechtigt
mit anderen Belangen betrachtet wird und nicht entsprechend seiner
Bedeutung gewichtet wird. Bei einer Beibehaltung des Optimierungsgebotes
in der jetzigen Form wäre daher bereits eine klarere Gesetzesformulierung
erforderlich.
Jedoch ist die bisherige Regelung - auch
bei Hinzufügung neuer Schutzgüter - als unzureichend anzusehen.
§ 50 S. 1 BImSchG stellt keinen umfassenden Schutz vor schweren
Unfällen dar und beinhaltet durch die Formulierung "soweit
wie möglich" eine Relativierung dieses Schutzes, die angesichts
des erheblichen Gefahrenpotentials sachlich nicht gerechtfertigt
ist. Daher sollte die Einschränkung "soweit wie möglich"
gestrichen werden.
Ungeregelt ist zudem die Umsetzung des §
50 S. 1 BImSchG.
Während § 50 S. 1 BImSchG den Begriff
der Flächenzuordnung verwendet, wird in Art. 12 Abs. 1 Uabs.
2 RL 96/82/EG der Begriff des "angemessenen Abstands"
verwendet. Bei einer richtlinienkonformen Auslegung des § 50 S.
1 BImSchG muss der Prozess der Flächenzuordnung die Ermittlung
des angemessenen Abstands umfassen.
Eine verbindliche Vorschrift für die
Abstandsermittlung existiert derzeit nicht. Es ist jedoch zu befürchten,
dass zukünftig nicht notwendige worst-case-Betrachtungen, sondern
Häufungen ungeeigneter, da zu optimistischer Parameter und
Randbedingungen zu Grunde gelegt werden und somit zu zu geringen
Abständen bei der Flächenzuordnung führen.
Es ist daher sicherzustellen, dass konservative
Eingangsgrößen und Bewertungskriterien Voraussetzung
einer Abstandsermittlung werden. Dies bedeutet insbesondere:
- Dennoch-Störfälle und exzeptionelle
Störfälle müssen Gegenstand der Abstandsermittlung
sein. Ereignisse wie ein Behälterbersten, der Verlust der
größten zusammenhängende Masse oder der Verlust
der gesamten Masse müssen als relevante zu betrachtende Ereignisse
festgelegt werden. Sie dürfen nicht wegen einer angeblich
zu geringen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.
- Gegebenenfalls erforderliche Immissionsprognosen
für die Ausbreitung von toxischen Substanzen (insbesondere
Gasen) bei schweren Unfällen müssen von konservativen
meteorologischen Bedingungen ausgehen. So wäre es z. B. nicht
akzeptabel, lediglich mittlere Windgeschwindigkeiten zu Eingangsparametern
eines Ausbreitungsmodells zu machen. Relevant und zu betrachten
sind geringe Windgeschwindigkeiten bis zur Windstille, da bei
diesen Witterungsverhältnissen die größten Wirkungen
für Mensch und Umwelt auftreten.
- Der Schutz vor Störfällen umfasst
insbesondere den Schutz vor ernsten Gefahren (§ 2 Nr. 3 der 12.
BImSchV). Zu den ernsten Gefahren zählt insbesondere eine
Gefahr, bei der die Gesundheit einer großen Zahl von Menschen
beeinträchtigt werden kann (§ 2 Nr. 4 lit. b der 12. BImSchV).
In der Regel wird bei der Flächenplanung (und insbesondere
der Bauleitplanung) eine große Zahl von Menschen betroffen
sein. Hinsichtlich der Gesundheitsbeeinträchtigung kommt
es weder darauf an, ob die Auswirkungen oder Symptome irreversibel
oder schwerwiegend sind. Eine Beeinträchtigung tritt bereits
weit unterhalb dieser Schwelle ein. Sie ist auch bei leichten,
vorübergehend nachteiligen Auswirkungen gegeben.. Mithin
sind für eine Abstandsermittlung toxikologische Grenzwerte
heranzuziehen, die bereits eine Beeinträchtigung des Menschen
im vorstehend dargelegten Sinne ausschließen. Würde
man als Konzentrationsleitwerte beispielsweise ERPG-Werte (Emergency
Response Planning Guidelines) zu Grunde legen, so wären weder
ERPG-3 noch ERPG-2 Werte heranzuziehen, sondern (soweit vorhanden)
ERPG-1 Werte als Grundlage zu wählen.
- Rechtlich könnten derartige Szenarien,
Parameter und Beurteilungsmaßstäbe in einer Verordnung
zum BImSchG festgelegt werden.
Hinsichtlich der Anforderung von Art. 12
Abs. 1 Uabs. 2 RL 96/82/EG, gemäß der bei Veränderungen
von oder im Umfeld von bestehenden Betrieben zusätzliche technische
Maßnahmen nach Art. 5 ergriffen werden müssen, damit
es zu keiner Zunahme der Gefährdung der Bevölkerung kommt,
ist nicht geklärt, welcher Gefährdungsbegriff (in der
englischen Fassung der Richtlinie wird der Begriff "risks"
benutzt") als Grundlage der Bewertung verwendet werden soll,
wie diese Gefährdung (bzw. deren Zunahme, die zu bestimmen
ist) ermittelt wird, ob die Annahme oder Festlegung irrelevanter
Gefährdungszunahmen zulässig ist und welche Zunahme der
Gefährdung als irrelevant bzw. relevant anzusehen ist. Es ist
nicht erkennbar, wie die Richtlinie bzgl. dieser Fälle bestehender
Situationen konkret umgesetzt werden soll.
Nicht ersichtlich ist zudem, welche Methodik
und welche Bewertungsmaßstäbe hinsichtlich des Schutzes
von Gebieten, die unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes besonders
wertvoll oder besonders empfindlich sind, Anwendung finden sollen.
Es ist nicht sicher gestellt, dass bzgl. dieser Schutzgüter
eine richtlinienkonforme Umsetzung erfolgt.
III. Stoffliste
Die Stoffliste gemäß Anhang I
der 12. BImSchV ist über die im Entwurf vorgesehenen Fälle
hinaus zu modifizieren.
Die Mengenschwelle für PCDD und PCDF
in TCDD-Äquivalenten beträgt sowohl für Betriebsbereiche
nach § 1 Abs. 1 S. 2 der 12. BImSchV wie auch für Betriebsbereiche
nach § 1 Abs. 1 S. 1 der 12. BImSchV 1 kg. Es ist nicht bekannt,
dass diese Mengenschwellen bisher in Betriebsbereichen erreicht
wurden. Damit kann - trotz der erheblichen Umweltrelevanz dieser
Substanzen - ein relevanter Teil von Betriebsbereichen aus den Pflichten
des Zweiten und Vierten Teils der Störfallverordnung herausfallen.
Die Mengenschwellen in Anhang I Nr. 32 der
Stoffliste sind daher um einige Größenordnungen (Zehnerpotenzen)
zu reduzieren, so dass Betriebsbereiche mit PCDD/PCDF ihrem Gefährdungspotential
angemessen eingestuft werden.
Eine andere Möglichkeit wäre es,
als zusätzliches Kriterium für diese Stoffgruppe Konzentrationsschwellen
einzuführen, bei deren Überschreitung bereits die Erfüllung
der jeweiligen Pflichten der Störfallverordnung zu erfolgen
hat, obwohl die Mengenschwellen der RL 96/82/EG noch nicht erreicht
oder überschritten sind. Dies entspräche früheren
Fassungen des bundesdeutschen Störfallrechts.
Auf eine europäische Novellierung der
Richtlinie 96/82/EG ("Seveso-III") zu warten, ist umweltpolitisch
nicht angemessen. Angesichts der rechtlichen Möglichkeit, über
die europäischen Vorgaben hinausgehen, ist dies auch nicht
erforderlich.
IV. Kommission für Anlagensicherheit
Mit der Kommission für Anlagensicherheit
wird ein neues Gremium gebildet, welches primär aus der Verschmelzung
der Störfallkommission und des Technischen Ausschusses für
Anlagensicherheit resultiert.
Im Rahmen dieser Neubildung sollte auch die
Chance eines strukturellen Neuanfangs genutzt werden.
So wäre es sinnvoll, Bestimmungen, die
wegen ihrer Detailliertheit nicht Gegenstand des Textes des neuen
§ 51a BImSchG werden sollten, aber auf Grund ihres grundsätzlichen
Charakters oder der mangelnden eigenen Zuständigkeit der Kommission
für Anlagensicherheit nicht von ihr selbst geregelt werden
können oder geregelt werden sollten, im Rahmen einer Satzung
festzulegen. Die Befugnis zum Erlass einer derartigen Satzung durch
das BMU könnte in einem § 51a Abs. 5 BImSchG festgeschrieben
werden. Die Geschäftsordnung der Kommission für Anlagensicherheit
sollte lediglich ergänzende, den Ablauf und die Vorbereitung
der Sitzung betreffende Regelungen enthalten.
Hierbei sollten z. B. Fragen der Vertraulichkeit
und der Nichtöffentlichkeit der Sitzungen des neuen Gremiums
geklärt werden. Grundsätzlich sollte das Prinzip der Öffentlichkeit
herrschen, um der Gesellschaft den Dialog über aktuelle Themen
und Entwicklungen der Anlagensicherheit zu ermöglichen. Eine
derartige Verfahrensweise würde das Handeln eines relevanten
Bundesgremiums transparent und nachvollziehbar machen und den demokratischen
Diskurs über die im Gremium erörterten Erkenntnisse und
verabschiedeten Positionen ermöglichen.
Nur bei Themen, die das BMU ausnahmsweise
ausdrücklich für nicht öffentlich erklärt, sollten
die Verschwiegenheitsregelungen Anwendung finden. Alle anderen Themen
sollten öffentlich erörtert werden. Dies würde die
Umkehrung der bisherigen Regelung der grundsätzlichen Vertraulichkeit
und Nichtöffentlichkeit bedeuten.
Um die Möglichkeit der Teilnahme von
stellvertretenden Mitgliedern zu eröffnen, ist eine Passage
hinsichtlich ihrer Berufung in den Text des § 51a BImSchG aufzunehmen.
Eine derartige Vertretungsmöglichkeit würde die Arbeitsfähigkeit
des neuen Gremiums erhöhen.
Defizitär ist die Berücksichtigung
geschlechtsspezifischer Aspekte.
Dies bezieht sich nicht nur auf den vorliegenden
Gesetz- und Verordnungsentwurf, dessen Begründung keine Betrachtung
der Aspekte von Gender Mainstreaming erkennen lässt.
Es betrifft auch den Anteil von Frauen in
dem zukünftig zu bildenden Gremium. So weist der "Dritte
Bericht der Bundesregierung über den Anteil von Frauen in wesentlichen
Gremien im Einflussbereich des Bundes" für die Störfallkommission
im Jahr 2001 3 Frauen von 26 Mitgliedern, für den Technischen
Ausschuss für Anlagensicherheit im Jahr 2001 3 Frauen von 34
Mitgliedern aus. Dem Ziel des Bundes, eine gleichberechtigte Teilhabe
von Frauen und Männern in Gremien zu schaffen, dürfte
diese personelle Besetzung wohl nicht entsprechen. Bisher ist nicht
ersichtlich, dass wirksame Schritte zur Veränderung der Situation
in Hinblick auf das neue Gremium eingeleitet werden sollen.
Hier bedarf es der Aufnahme des Hinweises
in § 51a BImSchG, dass die Besetzung der Kommission für Anlagensicherheit
nach den Bestimmungen des Bundesgremienbesetzungsgesetzes (BGremBG)
zu erfolgen hat, um die Anzahl der vorgeschlagenen und in der Folge
berufenen Frauen zu steigern.
|